Am 31. Mai 2022 hat der Hessische Landtag den CDU-Politiker Boris Rhein zum Ministerpräsident des Landes Hessen gewählt. Den ersten Jahrestag nimmt die SPD-Landtagsfraktion zum Anlass für eine kritische Rückschau. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Rudolph stellte am Dienstag in Wiesbaden fest:
„Wer gehofft hatte, dass sich mit dem Wechsel von Volker Bouffier zur Boris Rhein an der Spitze der Landesregierung politisch irgendetwas grundlegend ändern – also: verbessern – würde, der wurde enttäuscht. Aber wie hätte auch etwas anders werden können, nachdem der neue Ministerpräsident beschlossen hatte, mit den alten Problemfällen am Kabinettstisch weiterzuregieren? Das Personal der Regierung Rhein hat vom ersten Tag an deutlich gemacht, dass weiterhin alter Wein durch alte Schläuche fließen würde.
Boris Rhein selbst fällt als Ministerpräsident vor allem dadurch auf, dass er viele Themen anreißt, sie aber nicht zu einem sinnvollen Ende bringt. Politik besteht für ihn offenkundig in der raschen Abfolge von Showveranstaltungen, die immer ein ‚Gipfel‘ sein sollen: Vom ‚Gas-Gipfel‘ über den ‚Krankenhaus-Gipfel‘ und den ‚Versorgungsgipfel‘ bis zur Forderung nach einem ‚Arzneimittel-Gipfel‘ erzeugt der Ministerpräsident reihenweise ergebnis- und folgenlose Stürme aus heißer Luft.
Der nicht mehr ganz so neue Ministerpräsident Rhein interessiert sich für Fakten nur am Rande und für Details überhaupt nicht. Deswegen stellt er beispielsweise den Länderfinanzausgleich in Frage, den sein Vorgänger Bouffier maßgeblich verhandelt und als Meilenstein des Föderalismus gefeiert hat – und für den der Landtagsabgeordnete Boris Rhein seinerzeit ohne weitere Fragen im Plenum die Hand hob.
Bei der Grunderwerbsteuer hat der Landtagsabgeordnete Boris Rhein in nur zwei Jahren zweimal für deren Erhöhung auf heute sechs Prozent gestimmt – nur um jetzt als Ministerpräsident zu beklagen, dass die Höhe der Steuer Immobilien für viele Menschen unerschwinglich macht.
Stilbildend für die Regierung Rhein ist auch der offensive Ideenklau bei der Opposition: Von der Besoldung nach A13 für Grundschullehrkräfte über den kostenlosen Meisterbrief bis hin zu einem – von CDU und Grünen allerdings schlecht gemachten – Klimaschutzgesetz bedient sich das Kabinett neuerdings gerne im Programm der SPD. Darüber könnte man sich freuen, wenn dahinter wirklich Einsicht in die Notwendigkeiten unseres Landes stünde. Tatsächlich aber handelt Boris Rhein selten aus innerer Überzeugung, sondern meistens aus politischem Opportunismus: Gemacht wird, was relevanten Wählergruppen heute gefallen könnte. Die Zukunft ist dabei Nebensache.
So erklärt sich auch das Eintreten des Ministerpräsidenten für den Verbrennungsmotor und die Atomkraft unter dem populistischen Schlagwort der ‚Technologieoffenheit‘. Dabei hat sich doch längst herumgesprochen, dass ‚Technologieoffenheit‘ lediglich ein anderes Wort für das Festhalten am Überkommenen ist.
Was Boris Rhein in seinem ersten Jahr als Ministerpräsident allerdings gelungen ist, das ist die Zerrüttung seiner schwarzgrünen Koalition: CDU und Grünen in Hessen geben sich keine Mühe mehr, ihre gegenseitige Abneigung zu verbergen. Ob bei der Energiewende, beim Staatsbürgerrecht, beim Klimaschutz oder in den Untersuchungsausschüssen des Landtags zur Terrornacht von Hanau und zur Ermordung von Dr. Walter Lübcke – die Uneinigkeit der Koalitionspartner ist allgegenwärtig und unübersehbar. Und dazu muss man nicht einmal die so genannten ‚Sozialen Medien‘ bemühen, in denen führende Vertreter von CDU und Grünen übereinander herfallen.
Was bleibt am Ende des ersten (und womöglich letzten) ganzen Amtsjahres von Boris Rhein als Ministerpräsident von Hessen? Es bleibt der Eindruck, dass die Seriosität der Amtsführung ausbaubedürftig, die Themensetzung sprunghaft und die Regierungskoalition politisch und personell am Ende ist.
Am 8. Oktober entscheiden die Bürgerinnen und Bürger in Hessen, wer unser Land in die Zukunft führt. Dass die CDU dazu nicht mehr die politische Kraft hat, ist offensichtlich.“